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Von Marcel Rosenbach
Dem NDR brachte die Aufarbeitung seiner Stasi-Historie eine Menge Querelen. Das Zweite versucht es jetzt mit journalistischen Mitteln: Mehr als zwei Jahre recherchierte ein ZDF-Team die Stasi-Verstrickungen im eigenen Haus. Rund um den Sender gab es demnach mindestens 235 IM-Vorgänge
Normalerweise beschäftigt sich Christhard Läpple eher mit schöngeistigen Themen. Als Vizechef des ZDF-Kulturmagazins "Aspekte" berichtet er mal über den Musiker Heinz Rudolf Kunze, mal über den Bestsellerautor Michael Crichton - und immer wieder über Günter Grass. Ab Juli 2004 aber war Läpple nebenbei Redakteur im ganz besonderen Einsatz: Mit einem kleinen Team recherchierte er unter fast schon konspirativen Bedingungen an einem Geheimprojekt.
ZDF-Dokumentation: Das Zweite als "Feindzentrale"
Es ging um das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) und dessen Beziehungen zum Zweiten Deutschen Fernsehen, also um eine Recherche in eigener Sache.
Was die öffentlich-rechtliche Schwesteranstalt ARD zuvor mit Hilfe externer Wissenschaftler zu klären versucht hatte (SPIEGEL 30/2004), sollte Läpple mit den ureigenen Mitteln herausfinden: also durch journalistische Recherchen. Der Auftrag kam von ganz oben - von Intendant Markus Schächter und Chefredakteur Nikolaus Brender. Es gab einen gewissen Handlungsdruck, denn die ARD-Aufklärer waren auch auf Vorgänge rund um das ZDF gestoßen. Intern lief die folgende Recherche im Zweiten unter dem Codenamen "Bagage" - dem Stasi-Decknamen für die Anstalt auf dem Mainzer Lerchenberg. MfS-Chef Erich Mielke sprach auch schon mal von der "Feindzentrale" und einem "Wolf im Schafspelz".
Das Ergebnis der schwierigen Mission ist nun am Donnerstag und Freitag zu besichtigen. Läpple und sein Team haben ihre Erkenntnisse in zwei jeweils einstündigen Dokumentationen mit dem Titel "Die Feindzentrale - Das ZDF im Visier der Staatssicherheit" verarbeitet. Komplettiert wird die Aufarbeitung der eigenen Stasi-Geschichte durch einen Beitrag des langjährigen ZDF-Ost-Korrespondenten Joachim Jauer mit dem Titel "Antenne West - Das Fernsehen und die deutsche Einheit", der am Sonntag läuft. Es lohnt sich, die Vergangenheitsbewältigung anzuschauen - trotz der für alle Beteiligten fast schon beleidigend späten Sendezeiten um 23.45 Uhr, 0.10 Uhr und 0.00 Uhr.
Läpple und seine Kollegen haben bei der Auswertung von insgesamt etwa 350.000 Aktenseiten nicht weniger als 235 IM-Vorgänge rund um die Anstalt aufgespürt. "Ohne Anspruch auf Vollständigkeit", wie der "Aspekte"-Mann sicherheitshalber hinzufügt. Er ist vorsichtig geworden während dieser journalistischen Gratwanderung und Grenzerfahrung, bei der er oft mehr herausfand, als er gern herausgefunden hätte.
Sechs Fälle bereiten die beiden Dokumentationsfolgen näher auf, und besonders die zweite Stunde hat es in sich: Sie beschäftigt sich mit zwei bekannten und aktiven ZDF-Gesichtern. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Michael Schmitz, der derzeit das Wiener Büro der Anstalt leitet.
Schmitz war früher Reporter des Magazins "Kennzeichen D" und später letzter ZDF-Korrespondent in der untergehenden DDR. In den sogenannten Rosenholz-Dateien ist er unter dem Decknamen "Cousin" geführt. Mehrere Jahre unterhielt der ZDF-Mann Kontakt zu einem Stasi-Major, aus dieser Zeit sind drei Berichte erhalten. In den Unterlagen ist von einer "Werbung auf ideologischer Basis als IM" die Rede. Gleichzeitig berichtete Schmitz kritisch über das Regime und dessen letzte Tage, lieferte Bilder von hilferufenden Demonstranten und wurde bei einer Protestaktion selbst körperlich angegriffen. Für die Dokumentation reiste Schmitz noch einmal nach Ost-Berlin, zu seinem alten Büro und den Trefforten. Er bestreitet jede wissentliche Kooperation mit der Stasi.
Dasselbe gilt für Dietmar Schumann, dessen Fall schon im Zuge der ARD-Untersuchungen Furore machte. ZDF-Chefredakteur Brender beorderte ihn damals von seiner Korrespondentenstelle in Israel zurück ins Mutterhaus. Auch die hauseigene Dokumentation widmet dem Fall des damaligen Korrespondenten des DDR-Fernsehens viel Raum. Läpple reiht Indiz an Indiz, beim Zuschauen drängt sich der Eindruck auf, dass sich hinter dem besonders aktiven IM "Basket" nur Schumann verborgen haben kann. Die Passage kulminiert in einer ungewöhnlich deutlichen Aussage von Marianne Birthler, Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde: "Alles an dieser Aktenlage spricht für wissentliche und willentliche Zusammenarbeit." Schumann beteuert vor der Kamera seine Unschuld: "Es tut mir weh, weil es nicht stimmt."
Das ZDF-Justitiariat hat die Ergebnisse der Recherche auf mögliche Konsequenzen geprüft. Es werde keine arbeitsrechtlichen Schritte geben, sagt Chefredakteur Brender: "Die letzten Beweise für eine IM-Tätigkeit von Herrn Schumann sind nicht erbracht." Das Beispiel Michael Schmitz zeige zudem, wie schwierig die Rolle von Korrespondenten in Diktaturen sei.
Brender will die Befunde der Dokumentationen nach deren Ausstrahlung hausintern in einer Versammlung noch einmal diskutieren lassen.
Beim Zweiten will man offenbar auf jeden Fall verhindern, dass im Zuge der Vergangenheitsbewältigung Ähnliches geschieht wie bei der öffentlich-rechtlichen Schwester NDR.
Der Sender aus dem hohen Norden hatte wie auch die ARD als Ganzes eine Studie über seine Stasi-Verstrickungen in Auftrag gegebeben - an zwei junge Wissenschaftlerinnen. Die machten sich forsch ans Werk und stöberten monatelang in den Akten der Stasi-Unterlagenbehörde. Das Ergebnis präsentierte Intendant Jobst Plog im Juni vergangenen Jahres stolz auf einer Pressekonferenz.
Schonungslos rechnete der Bericht ("Giftspinne im Äther - Der Norddeutsche Rundfunk im Visier der Staatssicherheit") mit dem Ministerium für Staatssicherheit und dessen Einflussversuchen ab - und mit allerlei vermeintlichen Verfehlungen der eigenen ehemaligen Mitarbeiter. Den früheren "Panorama"-Redakteur Lutz Lehmann traf es besonders hart: Ihm wird vorgeworfen, er habe sich von der Stasi instrumentalisieren lassen.
Lehmann erstritt erst in diesem September in einem gerichtlichen Vergleich eine Berichtigung, der NDR korrigierte sich in 6 von 13 Behauptungen. Dem Sender ist die Angelegenheit inzwischen ziemlich peinlich, zumal die Betroffenen im Vorfeld nicht zu den Vorwürfen gehört worden waren.
Es ist auch deshalb ein besonderes Verdienst der ZDF-Aufbereitung der eigenen Zeitgeschichte, weil es gelang, viele Zuträger von damals vor die Kamera zu holen. Das gilt für die Stasi-Top-Quelle IM "Gaston", hinter der sich Günter Scheer, langjähriges Mitglied des ZDF-Fernsehrats, verbirgt, der vertraulichste Interna aus den Chefetagen verriet, genauso wie für eine ehemalige Praktikantin Guido Knopps im ZDF-Zeitgeschehen, die nebenbei als IM "Swantje" kundschaftete. Die promovierte Pädagogin hatte diesen Teil ihrer Vergangenheit bis zur Anfrage von Läpple völlig verdrängt, nicht einmal ihren Kindern hatte sie davon erzählt.
Einer aber verweigerte sich standhaft, spricht gar von einer Hetzkampagne und schaltete seinen Anwalt Peter-Michael Diestel ein. IM "Goslar", eine der wichtigsten Stasi-Quellen im ZDF, die über fast drei Jahrzehnte sprudelte. Kein Redakteur, kein Verwaltungsmitarbeiter - ein Kameramann. "Goslar" war bereits vor dem Sendestart des Zweiten aktiv geworden und rapportierte seinen Auftraggebern im Osten Details über Gebäudepläne, die Führungsstruktur und das Senderbudget bis hinunter zu einzelnen Redaktionsetats. Er lieferte Ausweispapiere aus dem Bonner Bundestag und steckte bei einem Dreh im Haus von Konrad Adenauers Staatssekretär Walter Hallstein ("Hallstein-Doktrin") vertrauliche Papiere ein. Während des Mauerbaus war er Augenzeuge der berühmten Flucht des Grenzers Conrad Schumann - und berichtete nur vier Stunden später der Stasi in Ost-Berlin.
Besonderen Jagdeifer entwickelten die Stasi-Agenten bei Gerhard Löwenthal und seinem DDR-kritischen "ZDF-Magazin". Rund 80 IM seien auf ihn angesetzt gewesen. Löwenthals Sohn berichtet vor der Kamera gar von einem Mordauftrag - der sich aus den vorhandenen Unterlagen der Rechercheure allerdings nicht belegen lässt. Dafür aber eine spontane Stasi-Fete mit Sekt-Umtrunk, als Löwenthal 1987 vom Sender genommen wurde. Die Agenten feierten sich für den vermeintlichen "Abschuss" dieses Staatsfeindes mit besonderem Sendebewusstsein selbst.
Neben allerlei Skurrilitäten wie einem vermeintlichen Einreiseversuch eines "Stallone, Sylvester" in die Hauptstadt der DDR, dem die Stasi bei der offenbar fast lückenlosen Telefon-, Post- und Kameraüberwachung des Ost-Berliner ZDF-Büros auf die Schliche gekommen sein wollte, offenbaren die Filme noch einmal die Brutalität und Menschenverachtung des DDR-Regimes und seines Stasi-Apparats. Bewegend ist vor allem der Fall der Wilma Reuß, einer der vielen "AnläuferInnen", also DDR-Bürgern, die Mitarbeitern des West-Fernsehens ihr Leid klagten. Gegen 672 dieser Personen wurde allein mit Bezug auf das ZDF strafrechtlich ermittelt. Reuß wurde wegen ihres Kontakts zum Zweiten zu sieben Jahren Haft verurteilt, viereinhalb Jahre saß sie ab.
Selbst in diesen Passagen bleiben die ZDF-Hausdokumentaristen eher nüchterne Beobachter als moralisch wertende Richter. Viele Auftritte und Ausflüchte erklären sich ohnehin selbst. In diesem Sinne haben die ZDF-Verantwortlichen die Deutungshoheit über ihre Stasi-Verwicklungen, die sie mit der hauseigenen Aufarbeitung der Geschehnisse für sich beanspruchen, nicht missbraucht. Was nicht in die Dokumentationen Eingang gefunden hat, bleibt freilich vorerst im Dunkeln. Allein 60 Vorgänge ließen sich nicht mehr namentlich identifizieren.
"Aspekte"-Mann Läpple ist nach getaner Arbeit Erleichterung anzumerken. Darüber, dass seine Arbeit jetzt ins Programm gefunden hat. Und darüber, dass er sich nach Beendigung der schriftlichen Fassung seiner Recherche, einem Konvolut von geplanten 500 Seiten, bald endlich wieder anderen Themen widmen kann.
Mehr als einmal ist er in den letzten Monaten der Nestbeschmutzung bezichtigt worden, manchmal wurde er regelrecht vom Hof gejagt.
Und dann ist da noch die Sache mit seiner Windschutzscheibe. Zweimal wurde sie während der Recherche eingeschlagen, in einer eher ruhigen Berliner Wohngegend. Es wurde jeweils kein anderes Auto beschädigt. Und auch gestohlen wurde nichts. Einer der Vandalismusakte ereignete sich am 13. August, dem Jahrestag des Mauerbaus.
Seine Erleichterung hat sogar bei der Auswahl der Titelmusik eine Rolle gespielt. Kulturredakteur Läpple entschied sich für Van Morrisons Version von "It's All Over Now, Baby Blue".
Quelle http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,448360,00.html
In der ehemaligen DDR 1961 bis 1964 Haft wegen so genannter fortgesetzter staatsgefährdender Propaganda und Hetze (§ 19 Abs. 1 Ziff. 2 StEG)